Auch der 2. Würzburger Digitalisierungstag war mit über 60 Teilnehmern, spannenden Vorträgen und intensiven Diskussionen ein voller Erfolg. Rund um neue digitale Lösungen für den modernen Einkauf, die bereits ihre Feuertaufe in der Praxis bestanden haben, konnten die Teilnehmer wertvolle Informationen für ihre digitale Roadmap mitnehmen.
Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky zeigte zunächst die aktuellen Trends zur neuen Digitalisierung auf und stellte eindrücklich die hieraus resultierenden Konsequenzen für den Einkauf von morgen vor. In der Fachcommunity sei man sich einig, dass im rein abwickelnden und administrativen Bereich alles automatisiert werden wird, was möglich und sinnvoll ist. Dementsprechend wird der Einkauf stärker und umfassender als bisher in eine strategische Einheit von wettbewerbsrelevanter Bedeutung transformiert. Um diese Einheit besonders schlagkräftig zu machen, stehen eine Reihe innovativer IT-Lösungen zur Verfügung, von denen sich viele in die Kategorien ‚Plattformlösung‘ oder ‚Intelligent Big Data Analytics‘ einordnen lassen.
Kathrin Schwinghammer von der Audi AG stellte ihre Erfahrungen mit dem Einsatz der Tools zum Supplier & Innovation Scouting der Firma scoutbee vor, die Account Executive Christoph Kaiser vor Ort vertrat. Die scoutbee-Lösung sammelt automatisiert weltweit riesige Datenmengen aus rund 180 Mio. Internetquellen und analysiert diese per Artificial Intelligence. In dem entstehenden Data Lake, kann nach Produkten und Lieferanten gezielt gesucht werden. Für diese werden diverse geschäftsrelevante Daten, einschließlich bestehender Lieferbeziehungen zu Kunden angegeben.Bei Audi ermöglicht der Digital Scouting Process eine extreme Erhöhung der initial berücksichtigten Anbieter. Im Rahmen eines effizienten Workflows werden nachfolgend die geeigneten potentiellen Anbieter schrittweise ermittelt. Auf diese Weise könnten 75 % der sonst üblichen Durchlaufzeit und 90 % des bisher erforderlichen Personalaufwands eingespart werden und dies bei einer erheblich höheren Anzahl initialer Kontakte.
Co-Founder Simon Jaehnig präsentierte die Plattformlösung von IntegrityNext, die die Risikobewertung von Lieferanten in Bezug auf Compliance und Nachhaltigkeitsaspekte komplettiert. Nutzer der Plattform erhalten Compliance-Assessments zu ihren Lieferanten, u.a. basierend auf einem Social Media Monitoring, bei dem Millionen von Datenquellen rund um die Uhr ausgewertet werden.
René Leipold, Einkaufsleiter bei Reichenbacher-Hamuel, präsentierte seine Erfahrungen mit der Orderfox-Ausschreibungsplattform für kundenspezifische CNC-Teile. Über Orderfox werden freie Fertigungskapazitäten bei den angeschlossenen Lieferanten sichtbar gemacht, so dass Aufträge effizient und auf sehr einfache Weise platziert werden können. Insbesondere für Unternehmen mit vielen neuen Teilen, von denen lediglich kleine Stückzahlen benötigt werden – wie dies bspw. im Maschinenbau oft der Fall ist – stellt diese Lösung eine enorme Erleichterung dar. Orderfox-Geschäftsführer Bernd Schuler gab zudem über die weitere Entwicklung der Plattform Auskunft.
Siegfried Hakelberg von Mercateo zeigte Nutzungsmöglichkeiten und Vorteile der Plattform Unite auf. Über diese kann auf eine große Anzahl elektronischer Produktkataloge zugegriffen und ein standardisierter Einkaufsprozess sowie bedarfsweise ein Single Creditor-Modell genutzt werden, so dass prinzipiell nahezu der gesamte Bereich der Standardgüterbeschaffung hierüber auf hocheffiziente Weise und zu attraktiven Konditionen abgedeckt werden könne.
CEO Andreas Zimmermann stellte die Plattform mysupply vor. Diese adressiert insbesondere Unternehmen, die keine eigene Ausschreibungsplattform betreiben oder für bestimmte Produkte eine breitere Anbietergruppe adressieren wollen. Der Ausschreibungsprozess erfolgt auf sehr effiziente und einfache Weise über die Plattform. Zudem können als Algorithmus abgebildete Auktionsmechanismen eingesetzt werden, für die aufwendige Auktionsvorbereitungen entfallen.
Michael Delle stellte die Lösung WhatsThePrice vor, bei der globale Kostendaten (für Rohstoffe/Material, Arbeit, Maschinennutzung, Energie etc.) für generalisierte Preisanalysen genutzt werden. Das Internet-basierte Tool eignet sich für die effiziente und schnelle Kostenkalkulation diverser Produktgruppen, bspw. im Vorfeld von Verhandlungen mit Lieferanten.
Simon Brandt von der Robert Bosch GmbH zeigte auf beeindruckende Weise auf, wie die die Procure-to-Pay Factory vom morgen aussehen kann. Diese wird auf der Basis der Integrationsplattform wescale, für die Marcel Kaup vor Ort war, bei Bosch permanent weiterentwickelt. Eine der Applikationen basiert auf Robotic Process Automation (RPA). Die Vielfalt neuer Anwendungen kann effizient über wescale eingebunden und vernetzt werden.
Als Rüstzeug für die Zukunft arbeitete Prof. Bogaschewsky zum Abschluss einige wesentliche, im Einkauf erforderliche Aktivitäten heraus. So sei der abwickelnde Einkauf möglichst komplett zu automatisieren, wo dieses umsetzbar sei. Durch die neuen digitalen Tools eröffneten sich hervorragende Unterstützungsmöglichkeiten, um den Einkauf in eine primär wertschöpfend tätige, strategische Funktion im Unternehmen zu transformieren. Dies geht insbesondere auch dessen Rolle als Innovation Scout und damit als Brückenfunktion und Vermittler zwischen interner Entwicklung und Produktion sowie den innovativen Anbietern auf den Beschaffungsmärkten an. Hieraus resultieren eine veränderte, deutlich aufgewertete Rolle dieses „neuen“ Einkaufs sowie veränderte Qualifikationsanforderungen für Einkäufer in Richtung strategisches Denken und Handeln, Kommunikation und Kollaboration.